Pt.1
Und schon sitz‘ ich im Flieger.
Von den anfänglichen 11,5 Stunden sind noch knapp 4 übrig.
Lufthansa mit dem neuen Allegris Sitzkonzept klingt super fancy, aber die merklichen Unterschiede sind da erst in den höheren Steuerklassen zu finden. In der Economy hat man einen schicken kleinen Klapptisch, eine ausklappbare Fläche für Magazine (also Smartphones o. Tablets), eine verstellbare Kopflehne und besonders auffällig: eine neue Benutzeroberfläche für das Onboard-Entertaintment. Klar wurde die gleich ausgetestet. 
Die erste Stunde wurde mit ein paar viertel-stunden langen zusammengefassten Business-Hörbüchern à la „Top-Findings-in-diesem-neuen-Buch-zu-KI“ und einem am Flughafen gekauften Rätselheft verbracht, was meinen IQ schonmal auf Reiseflughöhe befördert hat. Zum Essen (Ravioli) wurde das Filmprogramm durchstöbert und Dune Part 2 als Unterhaltungsprogramm auserkoren. Knapp 3 Stunden später dröhnten die Ohren vom Soundtrack und die Augen vom Spektakel. Der logische nächste Schritt war eine undefinierbare Zeitspanne, gefüllt mit dösendem Halbschlaf. Knapp die Hälfte des Fluges hinter mir warf ich einen Blick in eine unerwartete, aber tolle Doku zum isländischen Frauenstreiktag 1975. Und jetzt sitze ich hier und weiß nicht so wirklich, was ich schreiben soll.
Es fühlt sich noch immer surreal an, hier zu sitzen und zu wissen, dass man in ein paar Stunden in einer komplett neuen Umgebung ankommen wird. Gerade noch im Alltag in Ulm den aufblühenden Frühling genossen, geht es jetzt für das nächste halbe Jahr in ein fremdes Land, zu dem jeder eine Meinung und persönliche Geschichte hat. Doch selbst kann ich mir noch nichts darunter vorstellen. 
Es ist eine seltsame Mischung aus Vorfreude, Erwartungsdruck, Fernweh, Heimweh und Tatendrang.
Vom Flughafen aus geht es für die nächsten beiden Wochen übergangsweise in ein Airbnb. In der Zeit muss noch so einiges an Organisatorischem geregelt werden. Nach den administrativen Angelegenheiten warten noch die Lifestyle-Fragen auf mich und Jan, der ebenfalls ein Praktikum bei Bosch macht und mit dem ich hierher unterwegs bin. Eine 2-Zimmer Wohnung in schöner Gegend, falls möglich möbliert, zu einem vertretbaren Preis und bestenfalls bitte ohne Kakerlaken Plage. Das wäre ein Träumchen. Das zweite Träumchen wär ein eigenes Auto. Ein Gebrauchtwagen für die Zeit, um schön mobil zu sein und die eventuellen Abstriche bei der Wohnung in Sachen Lage wieder wettmachen zu können. Ein Cabrio würde sich doch anbieten, in sunny CA!  Da noch so einige Roadtrips geplant sind, hätte er idealerweise mehr als zwei Sitze und einen größeren Kofferraum für Gepäck von vier Personen auch noch. Gibt es sowas überhaupt? Wenn, dann wohl in den USA.
Und wenn dann noch ein oder zwei Tage übrig bleiben, bis das Praktikum am 19. Mai beginnt, würde ich mich auf den Fahrersitz hieven, die Sonnenbrille ins Gesicht ziehen und nochmal etwas mehr die Gegend erkunden.
Der Abschied war emotional, das Gefühl ist surreal, aber die Stimmung dennoch durchtränkt von Tatendrang.
Ich durchstöbere jetzt nochmal das Entertainmentangebot nach ’nem guten Film für die letzten Stündchen.
Pt. 2
In San Francisco angekommen ging es ereignislos durch die Immigration und Gepäckaufnahme raus in die Haupthalle und … es ergab sich der erste richtige Blick in die neue Welt. Aus der Szenerie geboren und vom sich anbahnenden Sonnenuntergang verstärkt formte sich das Verlangen, selbst mit dem Auto loszufahren. Statt den nächsten Uber zu nehmen, sind wir also unserer Vision zum Car Rental Center gefolgt, was beim SFO eine ca. 10-minütige Fahrt mit dem Flughafen Express AirTrain bedeutet. Dort angekommen wurden ruckzuck die Handys gezückt, um sich Übersicht zu verschaffen. Überfordernde Auswahl traf auf schlechte Vorbereitung. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont und die anfängliche Euphorie wich der Erkenntnis … nach viel zu langen 30-45 Minuten Recherche und einem Gespräch mit der netten Dame am Avis Schalter machte sich die Einsicht breit, dass ein Auto zu mieten schweineteuer ist. Statt für eine Woche knapp 1000 USD zu zahlen, schienen die etwa 50 für das Uber dann doch attraktiver. 
Also ging es wieder zurück mit der Flughafenbahn und von dort mit dem nächsten Uber zum Airbnb. 
Als Hintergrund dazu sollte man Folgendes wissen: Jan und ich haben für die ersten beiden Wochen jeweils ein Privatzimmer gemietet. Die beiden Zimmer waren vom selben Anbieter bei der gleichen Adresse eingestellt und die Bilder von der geteilten Küche stimmten überein, was uns zu der Annahme führte, wir würden in der gleichen Wohnung jeweils ein Zimmer beziehen.
 Dort angekommen stellte sich heraus, dass das auch so stimmt, allerdings wohnen dort auch weitere 3 Leute. Wer die anderen Bewohner sind lässt sich nur an den gedämpften Stimmen durch die Zimmertüren und einem flüchtigen Schatten durch den Flur erahnen. 
Vom Konzept her näher an einer Zweck-WG haben die geteilten Räume ein im niedrigen Mittelmaß eingependeltes Level an Sauberkeit. Warum auch aufräumen, wenn es die anderen ja auch nicht tun? In dem Sinne, ein Griff ins mäßig saubere Klo, aber jetzt ist immerhin die Motivation groß, eine richtige Wohnung zu finden. 
Ein kleiner abendlicher Ausflug zum Neighborhood Walmart ergab einen Sack Äpfel, Kaffee und eine Packung Instant-Ramen. Neighborhood Market erweckt zwar die Assoziation von einem kleinen Tante-Emma-mäßigen Laden, ist aber in der Realität näher an der typischen Kaufland Filiale.
Wortkarg wurden die Nudeln mit Geschmacksrichtung Gourmet Spicy verdrückt. Das Letzte, was dann nach diesem langen Tag noch blieb, war, sich mit ordentlich Schmackes aufs Ohr zu hauen.
Pt. 3
Neuer Tag (neues Glück) wurde mit Sonnenschein begonnen. Im wörtlichen Sinne durch die minimal geöffneten Jalousien und im übertragenen Sinne durch das Handydisplay beim Videoanruf mit Lina. 
Es erhellt sich mein Gemüt und mein Handydisplay (Zitat!). Im Schein dieser Sonne sieht das Leben schon wieder ganz anders aus. Dazu gesellte sich noch der Kaffeeduft, und dem Tag stand nichts mehr im Weg. 
In der Vorbereitung auf die Zeit hier hab ich schon manche Cafés und Restaurants markiert, die gut aussahen.
Das gute Wetter lud ein und so machten wir uns, höflich wie wir halt sind, auf den Weg. In einem zuvor auserwählten Café ließen wir uns nieder, um den Sunnyvaler Wohnungsmarkt per Online-Recherche unsicher zu machen. Nach getaner Arbeit wurden gegen 15 Uhr die Laptops zugeklappt und die Haxen in Bewegung gebracht. Ein bisschen zu laufen hat nach dem langen Flug extrem gutgetan und der Jetlag lässt sich so auch klein halten. 
Ein Blick auf die Karte enthüllte den Bayland Park als Zielort. 
Dort angekommen sah man tatsächlich mal Menschen, die zu Fuß unterwegs waren. Der Park grenzt an ein saisonales Sumpfgebiet, das sich über den Bay erstreckt. Zugang verboten, da es den Lebensraum von unterschiedlichen Vögeln und Pflanzen bildet. Da wir unbedingt näher ans Wasser wollten, führte uns der Weg noch weiter. Durch den Bayland Park hindurch, entlang des Bay Trail zu einem auf einer Anhöhe gelegenen Unternehmenskomplex mit einer erstaunlich schönen Aussicht (und Tennisplatz für Mitarbeiter*innen). An diesem Sonntag war dort allerdings kaum eine Menschenseele anzutreffen.
Die abendliche Sonne stand tief über dem Bay und erhellte die Gräser und Blätter, während eine Schar an Gänsen durch die Lüfte zog. Der Wind streifte einem durch die Haare und veranlasste die Gräser dazu zu flüstern. Sobald man da einmal anfängt, Fotos und Videos zu machen, hört man nicht mehr auf, bis die Sonne weg oder das Handy leer ist. Und wenn der Akku dann mal den Geist aufgegeben hat, man sich hinsetzt und die Szenerie richtig in sich aufnimmt, dann fühlt man sich so langsam wieder angekommen in der Realität.
Ich hoffe, diese Auswahl an Bildmaterial überträgt einen kleinen Teil der Stimmung auch auf dich!
Wenn du das liest schlaf ich noch




